Dienstag, 24. November 2009

Ein Tresen - viele Spritties

Die grandios schlechten Beats dröhnen aus den Lautsprechern. Hier und dort wird gefummelt und kräftig gelallt: In der Kammer am Alex sind ganz schön krasse Besen unterwegs.






Es ist 2.08 Uhr. Samstagfrüh. Der Tag ist jung, die Typen nicht mehr ganz so. Sie drängeln sich am Tresen, rauchen wie die Schlote und können es kaum abwarten, die Toilette zu nutzen. Ja, Gay sein heißt zuweilen auch Geil sein. Da spielt es keine Rolle ob sich im Schnäuzer der Bierschaum sabbernd seinen Weg bahnt und eine schicke Kruste bildet. Während sich auf gefühlten 17 Quadratmetern zwei schräge Vögel aus der Provinz mächtig ins Zeug legen, die Kaltgetränke hinunterzuspülen, geht es vor der Kulisse torkelnd zur Sache "Schätzchen". "Wow, hast Du aber ein tolles Cappy", sagt sie. Doch der verschleierte Blick offenbart Bruchteile von Sekunden später, nachdem sie samt Hocker zu Boden stürzt: Er sagt es.



Die Pseudo-Hymne "Sing Halleluljah" strapaziert unterdessen konsequent die Hi-Fi-Anlage. Die Augen der Alkohol-Fetischisten hängen auf halbacht. Die Zombis vom Vortag haben längst nicht genug. Es wird bestellt und bestellt, um die Glücksgefühle hemmungslos herauslassen zu können. Dann geht der kahlgeschorene Gay mit absoluter Porn-Aura nach eindeutigen Blicken zum Klo vor und eine Minute später der Mann, den sie Oberlippe nennen, hinterher. Die beiden sind glücklich. Es wird laut. Als es tatsächlich eine real existierende Frau am Alexanderplatz wagt, den Laden aufzusuchen, gibt es keinen Aufruhr. Nein, die Quotenfrau passt sich natlos in das Gefüge der Kammer ein. Auch sie ist der Leidenschaft verfallen, die Leiden schafft. Koma.

Montag, 16. November 2009

Kartensalat ohne Hirn

Gut gelaunt steigt er ins Auto, zieht sich amtliche Musik rein und fährt zur Bank. Alles paletti, denkt er, doch seine Gehirnwindungen sollten ihm einen Streich spielen.



Er zückt sein Portemonnaie, sieht den Kartensalat und der Sand vom letzten Sommerurlaub rieselt heraus. Er schwelgt in Erinnerungen. Ein Grinsen huscht ihm übers Gesicht, doch wenige Augenblicke später sollte er schlagartig grau und faltig werden. Nachdem er nicht nur für sich Kohle gezogen sondern auch mit einer weiteren Karte der ganzen Sippschaft Pinunsen organisiert hatte, denkt er sich: "Ach, du könntest ja eigentlich noch einen Kontoauszug ziehen."

Gesagt, getan. Er stopft die Karte in den Drucker, denkt wieder an den Urlaub, zieht sich den Auszug rein, ginst und denkt: "Sieht einigermaßen okay aus." Und dann steht er da, wie bestellt und nicht abgeholt. "Wo ist die Karte? Wieso kommt diese verdammte Karte nicht aus dem Schacht? Wollen die mich komplett verarschen?" Sein Hirn gerät aus dem Gleichgewicht, nochmehr als seine Augen das irritierend-grüne Dauerblinken des Automaten wahrnehmen. "Das kann doch jetzt nicht wahr sein, oder?"

Eine Minute vergeht und er steht immer noch konsterniert vor dem Gerät. Was kann er tun? Er schaut sich um, beobachtet von den Kameras in der Bank, und zieht den Stecker. Gangsterstyle - Adrenalin pur.



Der Drucker fährt wieder hoch - eine gefühlte Ewigkeit vergeht. Sein Hirn glaubt an den Meister aller Karten - "Tricky", denkt er - doch der Drucker nicht. "Mist, so ein verdammter Mist." Nichts passiert. Er rennt zum Auto, überlegt, dreht am Rahmen und flucht, was das Zeug hält. Die Manie greift um sich, selbst Schuld, denn seit drei Wochen ist er auf Schoko-Entzug.

Weil er dringend los muss, ruft er seine Angebetete an, schildert ihr mit puterrotem Gesicht nervenverlierend die Situation und lässt die Karte sperren. Er weiß schließlich nicht, welcher Pilz eventuell Glück haben könnte, um sich seine Karte irgendwie doch zu sichern. Fassungslos und wutentbrand braust er davon. "Saftladen!"

Als er am späten Nachmittag wieder zu Hause ankommt, zückt er erneut sein Portemonnaie gibt seiner Verzuckerten die Karte und drückt die Kohle ab. Er guckt, guckt noch einmal: Apathie. Sprachlosigkeit. Die Karte steckt dort, wo sie immer steckt. Hirnverbrand.

Montag, 9. November 2009

Emotionale Glückseligkeit



20 Jahre nach dem Mauerfall. Das bedeutet 20 Jahre emotionale Glückseligkeit - und zwar für Ost-und Westdeutsche gleichermaßen.

Den historischen Leistungen der nach Freiheit strebenden Menschen in der damaligen DDR, die Montag für Montag mutig, trotz Ressentiments, auf den Straßen der „demokratischen Republik“ ehrlich und voller Hoffnung für Veränderungen protestierten, gebührt ein Leben lang über Generationen hinweg tiefster Respekt.

Diesen ließen bereits viele unmittelbar oder wenige Jahre nach der Wende vermissen. Enttäuschungen hüben wie drüben, hausgemachte Probleme hier und dort, verschiedene Mentalitäten, fehlendes Verständnis - kein wirkliches Miteinander. Die Liste ist lang.
Dabei könnten Politiker mehr als nur phrasendreschend Brücken bauen.

Insofern ist der Ansatz von Brandenburgs Ministerpräsidenten Matthias Platzeck mit einer direkten Auseinandersetzung mit der Nach-Nachfolgepartei der SED mehr als nur ein Versuch wert. Vergessen sollte niemand, verherrlichen schon gar nicht, aber ständig den Verrat an den Idealen zu kolportieren, kann auch nicht der heilbringende Weg sein. Außerdem: Bagatellisieren will Platzeck nicht, schon gar nicht, weil er selbst aus der Bürgerbewegung kommt. Klischees will ohnehin niemand mehr hören.

Weil sich zudem die Vorurteile vom Besser-Wessi oder Jammer-Ossi, so abgedroschen es auch klingt, zum Teil immer noch halten, sollte sich jeder nocheinmal die Bilder der Wendezeit im Herbst des Jahres 1989 vor Augen führen. Insbesondere der 4. November 1989 war ein Meilenstein in der Geschichte Deutschlands, als sich auf dem Alexanderplatz in Berlin Hunderttausende emotional Gehör verschafften.

Das wunderbare Wunder wird zwar auch von Politikern gebetsmühlenartig gepriesen, doch nicht sie waren es, die den Weg für den Einsturz der Mauer ebneten. Der Drang der Menschen war stärker als die staatliche Willkür. Und das müssen vor allem auch Ewiggestrige akzeptieren. Nein, es war nicht alles schlecht in der DDR. Ja, Ostalgiker dürfen auch zurückblicken, doch herbeisehnen sollten sie den Schoß der einstigen Staatsmacht nicht. Die Zukunft ist es, die ein jeder im Blick haben sollte. Denn auch im wiedervereinigten Deutschland kann es sich lohnen, für herbeigesehnte Rechte aufrichtig zu demonstrieren. Wir sind das Volk!