Der Magen knurrt. Er hat Hunger, erbärmlichen Hunger. Der Weg zum Kühlschrank ist nicht weit. Er öffnet ihn. Eiseskälte schlägt ihm entgegen. Bis auf Marmelade, verkrusteten ollen Käse und einer einsamen Frikadelle von vorgestern ist nichts mehr da. Gähnende Leere. Zeit, zu handeln. Aldi, Lidl und Konsorten warten mit Köstlichkeiten auf ihn.
Schnell zieht er sich die Jacke an, rennt zum Auto und startet seine Kiste. „Moment! Da war doch noch was“, denkt er. „Mist! Ich hab’ das Portemonnaie vergessen.“ Zurück, alles auf Anfang. Doch dann geht es endlich los. Die Ruhe verflüchtigt sich allerdings schneller als gedacht. Er blickt während der Fahrt in seine Geldbörse. „Das war doch klar! Summa summarum 4,37 Euro.“ Den Großeinkauf kann er sich abschminken. Ein Hoffnungsschimmer: Die EC-Karte zwischen all den unnötigen Zetteln blitzt. Der Aufschrei der Erleichterung währt jedoch nicht allzu lang. Seine Gehirnwindungen spielen ihm einen Streich. Er weiß es nicht. Der aktuelle Kontostand bleibt ihm ein Rätsel. Ein Martyrium bahnt sich an.
Auf dem Parkplatz vor dem Laden überlegt er noch, was er denn jetzt eigentlich hier soll. Er hat nicht einmal den Euro für den Einkaufswagen. Zwei zwei Euro-Stücke, drei Mal fünf Cent und der Rest vom Schützenfest. „Da geht nicht viel.“ Die Unsicherheit quält ihn. Egal, er setzt auf Risiko, alles auf eine Karte. Nervös rennt er durch den Laden, schnappt sich einen Karton und schreitet mit hängendem Kopf durch die Reihen. Ab und zu greift er nach ein paar Kleinigkeiten, blickt dabei nach alle Seiten und denkt: „Guck sie dir an. Sie wissen es. Ich habe keine Asche auf Tasche.“ Doch mutig begibt er sich zur Kasse, legt mit schweißgebadeten Händen die Ware auf das Fließband. Jetzt gilt es.
Vor ihm steht ein Freak in seinem Alter. Etwa zehn Teile scannt die griesgrämig dreinschauende Kassiererin ein. Der Freak wird hochgradig nervös. „Was ist denn mit dem los“, denkt er. Mit zitternden Händen zückt der Freak seine EC-Karte und schiebt sie in den Leseschacht. „Systemfehler“, sagt die Kassiererin. Die Schweißperlen rinnen vom Gesicht des Typen nur so herunter. Er versucht es noch mal. „Systemfehler.“ Die Kassiererin weiß es: Der Freak hat keine Kohle. Sein Gesichtsausdruck spricht Bände. Ein Zittern seiner linken Wange lässt erahnen in welcher Gefühlswelt er sich gerade befindet. Doch sein Trumpf sind die drei Fünf-Euro-Scheine, die er aus seiner Hosentasche kramt. Notreserve vermutlich. 14,89 Euro muss er blechen. Der Freak scheint ein mathematisches As zu sein. Er blickt nochmals durch die Reihen, macht dann aber schnell den Adler. Denn er weiß: Die, die an der Kasse stehen, sehen alles. Sie lechzen geradezu nach Skandalen.
Jetzt ist es soweit. Er ist an der Reihe. Langsam, Zentimeter für Zentimeter, nahezu demütig kriechend bewegt er sich vorwärts. Der Gang nach Canossa ist beschwerlich. Die Kassiererin, so glaubt er, denkt: „Ach, schon wieder so einer.“ Die Lippen seines Mundes spitzt er, als wenn er ein fröhliches Liedchen pfeifen wollte. Ein selbst inszenierter symbolischer Abgesang? Vielleicht, denn er hat wesentlich mehr als 4,37 Euro auf den Tresen gepackt, darunter acht Päckchen Tabak a 3,40 Euro. Er will es wissen. Die Kassiererin scannt alles ein. Er kratzt sich den Schädel. „54,77 Euro, bitte“. Die Alarmsirenen heulen. Trotzig zieht er seine EC-Karte und gibt sie ihr. Flugs landet sie im Lesegerät. „Bitte den PIN eingeben und bestätigen.“ Okay. Gesagt, getan. Bruchteile von Sekunden vergehen. Der Kassendeckel springt auf. Er feiert. Jubelarien durchziehen seinen Körper. Ein überschwänglicher Pfiff. Die Leute gaffen. Freundlicher denn je verabschiedet er sich. Draußen zündet er sich eine Zigarette an. Der Hunger ist verflogen.
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