Montag, 10. November 2008

Qualen des Tages III



Kurz vor sechs, der Wecker klingelt - wieder ist extrem frühes Aufstehen angesagt. Puh, das Wochenede sitzt noch in den Knochen. Schnell anziehen, das Taxi wartet. Ab geht's zum Bahnhof. 6.15 Uhr. Floskeln werden ausgetauscht, der Fahrer ist allerdings genauso wenig gesprächsbereit wie ich selbst. Draußen ist es ungemütlich: der Wind ist empfindlich kühl, kurzzeitg peitscht auch noch der Regen. Bielefelder Wetter. Wunderbar, denkt der Pendler zwischen den zwei Welten.



Egal, er raucht vor dem Bahnhof schnell eine Fluppe, nichts ahnend, was ihn gleich erwarten wird. Er rennt zunächst zum Bäcker, holt sich zwei Brötchen und organisiert anschließend noch den Kicker. "Super, der Pflichtteil ist erfüllt", denkt er. Doch dann beginnt das Grauen. Er blickt auf die Anzeigentafel der Bahn und sieht voller Entsetzen, dass bereits der 5.38 Uhr-Zug Richtung Berlin eine Verspätung von angegebenen 50 Minuten hat. Konsequenzen scheinen auch für seinen 6.38 Uhr-Zug zu drohen. Geistesgegenwärtig rennt er zum Schalter und hakt nach: Was ist da los? "Nein, ihr Zug ist von den Verpätungen nicht betroffen", versichert ihm der Bahnangestellte mit einem Lächeln. Doch als sich der Pendler umdreht und erneut zur Tafel hochblickt, ist es amtlich. Seine Mine verfinstert sich. Auch sein Zug hat jetzt eine Verspätung von zehn Minuten. Das Hirn rotiert. Die Hochrechnungen laufen. Schafft er den Anschlusszug in Spandau nach Neuruppin? "Noch ist alles im grünen Bereich." Er geht zum Bahnsteig. Wieder eine Veränderung: 20 Minuten Verspätung. Dann 30 und schließlich wird noch die 40er Marke geknackt. "Super!" Die Gewissheit ist da, pünktlich kommt er nicht nach Neuruppin. Aber die Fakten liegen wenigstens auf dem Tisch: Irgendein Güterzug hat bei Beckum die Gleise blockiert. Unfall. Unheil.


Er ist dennoch froh, endlich die Kälte hinter sich gelassen zu haben. Er sitzt im warmen Zug. Dann fangen die Bahnangestellten an, jeden mit Freigetränken zu versorgen. Kaffee, Wasser, Saft: Die ganze Palette wird aufgefahren. Aber der Freak bleibt eisern. Er ist angenervt und nimmt keines der Angebote war. Er studiert aufmerkasam den Kicker, liest dann den völlig abgedrehten und durchgeknallten russischen Roman namens Ljod - Das Eis. Ab und zu nickt er ein. Checkt nochmal die Lage und erkundigt sich, wie das mit seinem nächsten Anschlusszug aussieht. "Alles kein Problem". Denkste! Vor Berlin hatte anscheinend jemand keinen Bock mehr und hat Schienen mit Köpfen gemacht. Toll, der arme Kerl: Warum? Er wird wohl schwerwiegende Gründe gehabt haben, aus dem Leben scheiden zu wollen, glaubt er. Bitter!



Dann ist Spandau in Sicht. Super! Den Anschlusszug um 10.06 Uhr schafft er. Schnell rennt er zu einer cholerischen Schaffnerin, wie er wenige Sekunden später feststellen muss, um sich die am Ende 60 minütige Verspätung auf seinem Ticket abzeichnen zu lassen. Der Verspätungstrip muss schließlich fürstlich entlohnt werden. Aber die Furie macht erstmal so richtig amtlich Theater. Genau das war es, worauf er gewartet hatte. Klassisch Bahn eben. Nach etlichen Diskussionen kommt sie ihrer Pflicht dann doch noch nach. Ab in den nächsten Zug - gähnende Langeweile und Bummelei. 11.30 Uhr. Das Ziel ist erreicht. "Danke", sagt er sich. "Es macht immer wieder Riesenspaß mit der Bahn zu fahren." Mal sehen, wie das mit der Kohle laufen wird. Bestimmt total unkompliziert. Da ist er sich sicher.

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