Sonntag, 28. Februar 2010

Der stürzende Fußmeister

Gleitschuh-Weltmeister war er bei den U5-Junioren, Schlitten-Vizemeister wurde er auf der Todespiste seines Heimatberges und ohnehin sollten weitere unzählige Titel in seinen Träumen folgen. Es war allerdings 1986 als er bis dato zum letzten Mal seine magischen Füße in Schlittschuhe steckte. Die Quittung für seine 24-jährige Abstinenz sollte prompt folgen: Denn der Olympiasieg im Füßezerquetschen sollte bedingungslos seiner werden.

Als er an der Eisbahn ankommt, wähnt er sich im siebten Himmel. Nachdem er sich für die Eishockey-Schlittschuhe und nicht für die schwarzfarbigen Eiskunstlauf-Dinger entschieden hatte, sieht er sich gedanklich zum wiederholten Male den Puck ins Netz hämmernd orgiastisch jubelnd vor den Menschenmassen dahin treiben. Doch Wunschträume und Realitäten liegen manchmal eben doch meilenweit auseinander.

Bereits beim Anziehen der Schlittschuhe bemerkt er, wie der einstmals vor Elan nur so sprühende Meister aller Klassen eingerostet ist und nunmehr seinem sportliche Fiasko entgegenschlittert. Ein Knick und schon landet er stolpernderweise, nachdem er zuvor wie ein waschechter Schneider die ellenlangen Seilschaften Öse für Öse verschnürt hatte, auf dem harten Gummiboden der Tatsachen. „Was geht hier denn ab? Krasse Nummer“, gibt er völlig erstaunt zum Besten. Die Vier- bis Achtjährigen lachen sich schlapp. Er stimmt mit einem wimmernden „das gibt’s doch gar nicht“ ein.

Er steht auf. Schmunzelt noch ein „super-heftig“ heraus, während andere Eisbahnfetischisten seinen leicht verwirrten Gesichtsaudruck wahrnehmen. Er scheint entlarvt. Wie auf Eiern laufend, wagt er dennoch den etwa 20 Meter langen Gang nach Canossa. Doch die Eisfläche entpuppt sich wenig später als ein Ort des Grauens. Zwei Eiskunstlauf-Freaks, die er Sodom und Ghomorra nennt, gleiten wie die Gazellen an ihm vorbei, andere fahren im Eishockey-Style grandios rückwärts, drehen Pirouetten und sind enorm cool. Cool sind bei ihm nur die Schlittschuhe - und vor allem das Eis mit dem er noch näher Bekanntschaft machen sollte.

Die ersten Schritte klappen dann wider erwarten erstaunlich gut. Doch wenige Augenblicke später erweist sich sein unerwartet gewonnenes Freiheitsgefühl als ein Trugschluss, denn er sollte seinem Gleichgewicht alsbald einen dramatischen Test unterziehen.
Als er sich mit einem Affenzahn in Richtung Kurve bewegt und von einem der Eislaufprinzen tuschiert wird, verliert er den Halt und donnert schnurstracks gegen die Bande. Der Check sollte Folgen haben.

Fortan wankt er wie ein vom Alkohol gezeichneter Deliriumpapst über das Eis, dazu gesellt sich ein stechender Schmerz, der permanent seine Füße drangsaliert. Seine geknechteten Füße sind zwar ohnehin mit etwa 11 Zentimeter nicht allzu breit, doch die Nieten seiner Schlittschuhe graben sich in die Seiten seiner Mauken und quälen ihn ergiebig. Doch nicht nur mit jämmerlichen Quetschungen hat er zu kämpfen: Die Kufen unterhalb seines Schuhs, die sich umzukehren scheinen, gravieren sich gefühlt wie eine rasiermesserscharfe Klinge in die Sole ein. Er meint, Runde um Runde dahinzusiechen. Flugs entscheidet er sich, das Experiment abzubrechen. Er steuert auf den Ausgang zwischen den Banden zu und grüßt schließlich erneut den Himmel mit seinen Schlittschuhen. Sense. Sehr devot kriecht er von der Eisfläche und schleppt sich dann in die Umkleide. Dort zieht er die Dinger aus, wirft sie in die Ecke und schmollt. Beim Anblick seiner mit einem Nietenmuster versehenen Füße, die sich ihm bläulich schimmernd dank der Quetschungen entgegenstrecken, kullern mental die Tränen der Enttäuschung. Nichts war es mit einem realen Olympiasieg. Den will er aber spätestens in 24 Jahren einstreichen. Dann nämlich wird er wohl mit Stahlplatinen, die die Knöchelchen seiner Füße zusammenhalten werden, antreten. Traumatische Träume.

Montag, 15. Februar 2010

Ratten-Montag II



Zechen, blechen und rächen: In den Karnevalshochburgen wird bereits seit Donnerstag, der Fastnacht der ollen Weiber, kräftig abgeschunkelt. Hier und dort werden auch heute wieder alte Liebschaften gnadenlos reaktiviert. Da haben es die Ratten wesentlich leichter: Sie reißen die Vögel der Nacht täglich - und zwar ohne mit der Wimper zu zucken. Delikat.



Dienstag, 9. Februar 2010

Der Herr der Pickel

Wie in Zeitlupe greift er mit seinen grazil wirkenden Fingern an seinen Schädel - irgendetwas juckt jämmerlich. Prompt ahnt er schon, was ihn erwartet. Er berührt die zahlreichen Krater aber auch die Hügel, die sich wie ein eruptionsfreudiger Vulkan auf seinem Kopf erheben. Zack - und schon spritzt die dezent gelblich-grün schimmernde Masse heraus. Der Druck ist weg, aber der Eitersee bahnt sich erbarmungslos seinen Weg. Sein Gesicht gleicht dem Kabinett des Grauens in seiner reinsten Form. Er ist der Herr der Pickel.

"Nein", denkt er. "Nicht schon wieder!" Doch er muss einsehen, dass die Kopf-Akne erneut regiert. Zahlenmäßig ist er mittlerweile bei begrabschten 17 Pickeln angelangt, mal klein und fein, mal wie Felsen, die sich an der Brandung des Eiters köstlich laben. Vor dem Spiegel tastet er die dicksten Brocken ab und prüft mit zitternden Händen, was machbar ist. "Mmmh, der Vulkan ist ganz schön aktiv", murmelt er. "Dieses Prachtexemplar könnte ich wohl ausdrücken."


Er setzt beide Zeigefinger an und dann geschieht es: Die Fontäne - die Quelle allen Übels - stößt heraus und spritzt hemmungslos wie ein Geysir gegen den Spiegel. Er wähnt sich mental in Island, und als sich dann der Eruptionskanal endlich schließt, allerdings nicht ohne noch ein wenig blutiges Lava nachfließen zu lassen, ist sein Schädel samt interner Hirnmasse traumatisiert. "So kann es nicht weiter gehen", brabbelt der Herr der Pickel. Was soll er tun?

Eine neuerliche Attacke ist bereits im Anmarsch. Dann kommt ihm der Weltmeister des Ausdrückens in den Sinn. Er gehört einer ganz speziellen Spezies der Drückerkolonnen an - bekannt auch unter dem Namen "Der Mann, den sie Stirn nannten". Sein Markenzeichen: Fingern, ohne die Nerven zu verlieren. Völlig abgebrüht bewundert er sodann das ganze Ausmaß. "Wow, mit den Biestern erregst du nicht nur bei mir Aufsehen", sagt Stirni mit einem breitem Grinsen, das bereits seine volle Vorfreude endlich Hand anlegen zu können zum Ausdruck bringt.

Mit Glanz in den Augen schreitet er zur Tat: "So etwas habe ich ja noch nie gesehen", sagt er schmunzelnd, während er sich das Kinn mit den Fingern seiner rechten Hand reibt. Diese sind es auch, die wenig später mit extrascharfen Nägeln ausgestattet die Eiter-Kanäle öffnen sollen.

Zack - und schon geht die Finger-Orgie los. Schlag auf Schlag massiert er zunächst die Kolonie der wabbelnden Schmuckstücke. Dann ist er auf dem Gipfel der hochexplosiv-bakteriellen Mischung angelangt. Er kneift seine Augen zusammen und dann schießt plötzlich die schleimige Urgewalt aus dem Schädel seines Patienten heraus. Glücksgefühle allerorten. Eine Meisterleistung. Diese Sternstunde verschlägt ihm die Sprache, erst recht, als der Mann, den sie Stirn nannten, voller stolz seinen vom Pilz zerfressenen Fußnagel zeigt. "Ein Prunkstück", erkennt der Herr der Pickel, der nun als Narbenmann für Aufsehen sorgen will, neidlos an. Fetisch kommt eben gut an.

Mittwoch, 3. Februar 2010

Erschütternd bestechend

Kult-Filme Volume II:

Perfekt, spannend und abgedreht: John Carpenters zweites Werk "Assault on Precinct 13" (dt. Titel Assault - Anschlag bei Nacht) aus dem Jahr 1976 ist ein Meisterwerk und besticht neben den Akteuren, den drei zusammenführenden Handlungssträngen auch durch die spannungsumsetztende Komposition seines selbstinszenierten Synthi-Sounds.



Zur Handlung: Eine Polizeistation in einem gottverlassenen Ghetto von L.A. soll geräumt werden. Die meisten Cops sind bereits verschwunden, die Telefonleitungen gekappt, lediglich eine Notbesetzung hält die Stellung. Da taucht erst ein Transport mit drei verurteilten Mördern auf. Wenig später schlägt sich ein apathischer Mann mit letzter Kraft vor seinen Verfolgern - Mitglieder einer brutalen und ultrahoch bewaffneten Gang - bis zum Polizeirevier durch. Zuvor hatte er sich an den Tätern, die seine Tochter kaltblütig ermordeten, gerächt. Wie eine besessene Todesbrigade belagern die Gang-Freaks die von der Außenwelt abgeschnittenen Polizeistation und zwingen die Eingeschlossenen, die sich allesamt solidarisieren, zu einer erbitterten Schlacht um Leben und Tod.



Der Film, eine Hommage an den Western Rio Bravo, kommt im Stile der 1970er Jahre nüchtern, knallhart - vor allem die nachdenklich stimmende und zutiefst erschütternde Eiscreme-Szene - aber ohne tasächliche Effekthascherei aus. Fazit: Ein grandioser Hammer mit einer ordentlichen Portion Thrill. Unvergessen und immer wieder sehenswert.